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Rotenburg: AfD-Kreistagsmitglied Marie-Thérèse Kaiser der Volksverhetzung schuldig gesprochen

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Im Kreistag sitzt Marie-Thérèse Kaiser ganz hinten und schweigt in aller Regel. In den sozialen Medien äußert sie sich umso lauter.
Im Kreistag sitzt Marie-Thérèse Kaiser ganz hinten und schweigt in aller Regel. In den sozialen Medien äußert sie sich umso lauter. © Menker

Die Kreistagsabgeordnete Marie-Thérèse Kaiser (AfD) ist vom Rotenburger Amtsgericht der Volksverhetzung schuldig gesprochen worden. In einem Online-Posting hat die Sottrumerin Afghanen pauschal als Gruppenvergewaltiger bezeichnet.

Rotenburg/Sottrum – Die Sottrumer AfD-Kreistagsabgeordnete und -Kreisvorsitzende Marie-Thérèse Kaiser hat sich der Volksverhetzung schuldig gemacht. Nach der Überzeugung des Rotenburger Amtsgerichts hat die 26-Jährige während ihres Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2021 Afghanen pauschal als Gruppenvergewaltiger bezeichnet. Das ist laut dem Vorsitzenden Richter Cordes nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt und stört den öffentlichen Frieden.

Kaiser wurde am Donnerstag zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu jeweils 60 Euro verurteilt. Damit blieb das Gericht unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten 120 Tagessätzen zu 120 Euro. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Zugutehalten konnte der Richter der Sottrumerin, die als Beruf eine Bürotätigkeit für den AfD-Bundestagsabgeordneten Bernd Baumann angab, dass sie sich während der Verhandlung und in der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung vollständig zur Tat eingelassen hat. „Sie waren eine vorbildliche Angeklagte“, erklärte er während der Urteilsbegründung.

Unter dem Eindruck des Wahlkampfes

So gab es auch keine Diskussionen zum Sachverhalt: Im August 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, sitzt Kaiser im Zug nach Berlin und liest ein Interview des Hamburger Bürgermeisters Peter Tschentscher mit der Zeitung Die Welt. Deutschland verfolgt damals gebannt die aktuellen Ereignisse aus Afghanistan, das gerade von den Taliban zurückerobert wird, nachdem die westlichen Besatzer mit dem Rückzug begonnen haben. Im Fokus ist damals auch die Rettung der verbündeten Ortskräfte und ihrer Familien und weiterer von den Taliban Verfolgten. Tschentscher kündigt im Interview an, 200 Flüchtlinge in Hamburg aufzunehmen.

Nach Interpretation des Gerichts versucht Kaiser nach der Lektüre, dieses Interview für ihren Wahlkampf zu nutzen. Sie ist zu der Zeit Direktkandidatin ihrer Partei für den Bundestag im Wahlkreis 30 Stade I – Rotenburg II. Für ihre Social-Media-Profile erstellt die Sottrumerin eine sogenannte Kachel und schreibt darauf: „Afghanistan-Flüchtlinge; Hamburger SPD-Bürgermeister für ,unbürokratische‘ Aufnahme; Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“ und dazu einen vertiefenden Text, der ihre Kachel stützen soll. Beides postet sie unter anderem auf Facebook und Instagram.

Nähe zum Rechtsextremismus

Die niedersächsische Landesregierung hat Kaiser erst kürzlich eine Nähe zum Rechtsextremismus attestiert, sie tritt des Öfteren bei extremistischen Medien auf. Unter anderem moderiert sie seit Anfang 2021 Videos für den Verein „Ein Prozent“, der seit einigen Wochen als „gesichert rechtsextreme“ Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Kaiser bekennt sich nach wie vor zum nun verhandelten Beitrag, und zumindest auf Facebook ist er zum Zeitpunkt des Prozesses noch öffentlich. Die auf der Kachel und Text gestellte Frage sei damals berechtigt gewesen, sagte sie am Donnerstag: Als Bundestagskandidatin habe sie eine Debatte anstoßen wollen, das Thema sei für viele Bürger relevant gewesen. Sie fühle sich als Frau von Männergruppen mit Migrationshintergrund insbesondere im öffentlichen Verkehr bedroht und wolle andere Frauen schützen. Auch mache ihr eine unkontrollierte Einwanderung – so interpretierte sie den Begriff „unbürokratisch“ – Sorge.

Meinungsfreiheit hört da auf, wo die Menschenwürde anfängt.

Der vorsitzende Richter

Überhaupt sei der Beitrag als Kritik an dem Hamburger Bürgermeister zu verstehen. Das glaubte das Gericht nicht. Der Teil zu Tschentscher sei auf der Kachel in den Hintergrund gerückt, Angaben im Beitragstext zu Delikten mit sexueller Gewalt von Afghanen seien zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen worden. Recht gab das Gericht Kaiser aber darin, dass eine Meinungsfreiheit in der Politik und vor allem im Wahlkampf auch im Sinne der Demokratie besondere Beachtung erfahren müsse. Aber: „Meinungsfreiheit hört da auf, wo die Menschenwürde anfängt“, so Richter Cordes, und die sei in diesem Fall verletzt worden. Und zwar gegenüber einer abgrenzbaren Gruppe von Menschen: nämlich die 200 Flüchtlinge in Hamburg. Also Volksverhetzung.

Kaiser habe für den Stimmenfang in Kauf genommen, dass der Beitrag von einem objektiven Betrachter als volksverhetzend empfunden werde, führte er in der Urteilsbegründung aus. Auch ist das Gericht überzeugt, dass die 26-Jährige das absichtlich gemacht hat. „Sie sind eine intelligente Frau.“ Vor Gericht wurde es nicht zum Thema gemacht, aber laut ihrer Website bekam Kaiser ihren Bachelor of Arts mit einer „Arbeit zur Wirkungsweise provokanter Werbung“.

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