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Wikingertreff in Wolin: Neonazis unter Nordmännern

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Wikingertreff in Polen Neonazis unter Nordmännern

Tausende Wikingerfans kommen jedes Jahr in den polnischen Ort Wolin. Neben Axt und Helm sind dort jedoch immer häufiger rechte Symbole zu sehen - Neonazis mischen sich unter die Nordmänner.

Im frühen Mittelalter war der polnische Ort Wolin ein bedeutender Handelsplatz. Auf der gleichnamigen Ostseeinsel, neben Usedom gelegen, vertrieben die Wikinger an dieser Stelle Waren wie Nahrungsmittel und Metalle. Inzwischen findet man dort ein Freilichtmuseum, gefördert von Staat und Europäischer Union.

Die rauen Nordmänner faszinieren. So kommen schon seit Jahren Tausende an einem Wochenende zum Slawen- und Wikingerzentrum nach Wolin, um dort das frühmittelalterliche Leben der Nordmänner nachzuspielen. Das Museum wird dann zu einer der größten frühmittelalterlichen Living-History-Veranstaltungen Europas.

Eine Siedlung mit Hafen wurde schon vor Jahren nach historischen Plänen rekonstruiert, genau wie ein historischer Palisadenwall zum Schutz des Ortes. Die meisten der 20.000 Besucher sind Geschichtsfans, sie kommen wegen des Events.

Doch zunehmend reisen nun Neonazis an.

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Wikingertreff in Wolin: Neonazis unter Nordmännern

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Auf T-Shirts stellen sie ihre Symbole offen zur Schau, Hakenkreuze und andere nationalsozialistische Zeichen sind zu sehen. Zum Dresscode gehören
Kleidungsmarken wie Thor Steinar und Symbole der in Deutschland verbotenen Organisation "Blood and Honour". Rechte Zeichen vermischen sich mit Wikingerkult: Das belegen Bilder des Treffens vom vergangenen Wochenende, die dem SPIEGEL vorliegen.

Besonders auffällig: Die Vielzahl der Hakenkreuze auf Schilden, Fahnen und Ketten. "Dafür gibt es kein unmittelbares historisches Vorbild", sagt Karl Banghard. Er leitet das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen in Nordrhein-Westfalen und hat sich intensiv mit der Verbindung von Wikingern und Rechtsextremen auseinandergesetzt.

Natürlich seien bei archäologischen Ausgrabungen solche Symbole gefunden worden - das sei aber eher selten gewesen. "Es gab keine Hakenkreuz-Schilde - und schon gar nicht in dieser Vielzahl", sagt er. Das habe nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sondern sei ein Alibi der rechten Szene. Jeder bringe das Hakenkreuz doch heute mit der Zeit des Nationalsozialismus in Verbindung. "Wenn die Besucher diese Zeichen tragen, hat das eine Aussage über ihre Affinität", sagt Banghard.

Neonazis und Wikinger - für viele Besucher ist dieser fließende Übergang merkwürdig. Es sei ein komisches Gefühl, auf dem Gelände unterwegs zu sein, sagt ein Besucher, der anonym bleiben möchte. "Einerseits ist es so ein nettes und interessantes Event, und dann kommt das Erschrecken über die offen gezeigten Nazisymbole." Insbesondere die vielen Varianten von Hakenkreuzen hätten ihn irritiert.

Die Zahl der Rechtsextremen habe im Vergleich zu den vergangenen Jahren noch einmal zugenommen, sagt ein anderer Besucher des Wikinger-Treffens. Angesichts deren Präsenz "bleibe einem die Spucke weg", sagte er dem SPIEGEL.

Nicht nur Neonazis aus Deutschland reisen für das Treffen nach Polen - es ist international beliebt: Anhänger der verbotenen russischen Gruppe "Slawjanski Sojus" waren vor Ort, genau wie die der rechtsextremen Organisation "Radykalnie Poludnie" aus Polen.

Schmuck mit Hakenkreuzen

Schmuck mit Hakenkreuzen

Foto: SPIEGEL ONLINE

Doch warum sind die Wikinger so faszinierend für die extrem rechte Szene?

Dafür gebe es ein ganzes Bündel von Gründen, sagt Museumsleiter Banghard. Die großen Wissenslücken in dem Bereich machten das Bild der Geschichte besonders formbar. "In eine Epoche, zu der ich nicht viel weiß, kann ich viel hineinprojizieren", sagt er. Das biete für politische Deutungen nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Manipulation und damit Alternativen zur verhassten Moderne.

"Die Wikingerzeit ist für die Neonazis eine Art trojanisches Pferd, mit dem sie versuchen, die rechte Propaganda in die Mitte der Gesellschaft zu ziehen", sagt Banghard. Geschichte liefere eine Antwort auf die Frage, wie es zu unserer heutigen Gesellschaft gekommen ist. "Ich kann deshalb effektiv und unterschwellig politisch agitieren, wenn ich Geschichte in meinem Sinn erzähle", sagt Banghard.

Entsprechende Versuche gab es schon zu NS-Zeiten: An der Wikingersiedlung Haithabu in Schleswig-Holstein fanden archäologische Grabungen statt. Die Schirmherrschaft übernahm Heinrich Himmler persönlich. Germanische Hinterlassenschaften galten den Nazis geradezu als Heiligtümer, als Zeugnisse arischer Frühzeit, die den angeblichen Anspruch auf Weltherrschaft begründete.

Auch in der Neonazi-Szene ist der Kult um die Wikinger nicht neu. Die späteren Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) interessierten sich für den Wikinger- und Germanenkult: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe besuchte im Sommer 1997 ein vom "Thüringer Heimatschutz" ausgerichtetes "Wikingerfest". Auf dem Programm: Axt werfen, Hinkelstein tragen und Met in Strömen.

Museumsleiter Banghard beobachtet die aktuelle Entwicklung mit Sorge: Der Auftritt von Neonazis habe auf solchen Events deutlich zugenommen. Etwa auch in Ungarn. Er sieht dabei eine Verbindung zu den konservativen Nationalregierungen der Länder, die solche Events und die Besuche rechter Gruppen auf dem Museumsgelände tolerierten: "Da entsteht eine neue Nationalesoterik."