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  4. Übergriffe auf Frauen: So reagiert Köln auf sexuelle Gewalt

Deutschland Prävention

Oberbürgermeisterin legt Frauen „Verhaltensregeln“ nahe

„Eine Distanz, die weiter als eine Armlänge betrifft“

Eine Aussage, die für Aufsehen sorgt: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker empfiehlt Frauen, möglichst eine Armlänge Abstand zu fremden Männern zu halten - um Übergriffen vorzubeugen.

Quelle: Die Welt

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Nach der sexuellen Gewalt an Silvester arbeitet Köln daran, im Karneval ähnliche Übergriffe zu verhindern. Dazu gehören „Verhaltensregeln“ für Frauen, etwa „eine Armlänge“ Abstand zu Fremden.

Köln in der Silvesternacht: 1000 bis 1500 Personen haben sich auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs versammelt. Wie die Polizei später schildern wird, handelt es sich mutmaßlich um Afrikaner und Araber. Viele von ihnen sind betrunken, treten enthemmt auf, zünden Feuerwerk.

In der Folge kommt es zu Dutzenden sexuellen Übergriffen auf Frauen und Diebstähle durch Gruppen aus der Menschenmenge. Ähnliche Szenen spielen sich in Hamburg und Stuttgart ab. Alleine in Köln sind bislang 90 Anzeigen von betroffenen Frauen eingegangen. Ein Viertel davon erfolgte wegen Sexualdelikten, eine davon wegen Vergewaltigung. Und die Polizei rechnet, dass noch mehr Anzeigen folgen. Die meisten Opfer sind nach Informationen der „Welt“ Auswärtige, die zu Besuch oder auf der Durchreise in Köln waren.

So reagiert die Politik auf die Übergriffe in Köln

Politiker verurteilen den Gewalt-Exzess in Köln scharf und fordern, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Einen Generalverdacht gegen Flüchtlinge dürfe es allerdings nicht geben.

Quelle: Die Welt

Schon am 3. Januar beging eine Gruppe junger Männer im Kölner U-Bahnhof Breslauer Platz/Hauptbahnhof wieder ähnliche Straftaten. Es gab Anzeigen wegen sexueller Belästigung und Diebstahls mehrerer Handys. Fünf Tatverdächtige wurden festgestellt: Ein 20-jähriger Syrer, zwei Marrokaner im Alter von 21 und 22 Jahren sowie zwei Algerier, 22 und 24. Die Polizei fand bei ihnen zwei gestohlene Mobiltelefone.

In Hamburg wurden an Silvester Frauen laut Zeugenaussagen von jungen Männern mit südländischem oder arabischem Aussehen sexuell belästigt und bestohlen. Der Polizei liegen 27 Anzeigen vor. In Stuttgart wurden zwei 18-jährige Frauen auf dem Schlossplatz von etwa 15 Männern sexuell bedrängt und ihrer Handys beraubt. Zudem meldeten sich am Dienstag fünf weitere Frauen telefonisch oder per Facebook bei der Stuttgarter Polizei.

Karnevalstipps für Frauen und Menschen aus anderen Kulturen

Am Dienstag äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empört über die Übergriffe. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte, telefonierte die Regierungschefin mit der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Merkel habe ihre Empörung über diese „widerwärtigen Übergriffe und sexuellen Attacken“ ausgedrückt. Die Taten verlangten „nach einer harten Antwort des Rechtsstaats“.

„Neue Form organisierter Kriminalität“

Nach sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln laufen die Ermittlungen. Justizminister Heiko Maas warnt vor „Pauschalisierungen“ oder vor einer Verknüpfung der Vorfälle mit dem Flüchtlingsthema.

Quelle: Die Welt

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält nun eine Klärung für nötig, „ob das, was sie sich dort ereignet hat, eine neue Form organisierter Kriminalität ist, gegen die die staatlichen Stellen auch Mittel ergreifen müssen“. Mit Bezug auf die mögliche nordafrikanische Herkunft von Tätern betonte der Minister, vor dem Gesetz seien alle gleich: Es komme nicht darauf an, welchen Pass jemand besitze.

Reker und Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers (SPD) traten nach einem Sicherheitstreffen vor die Presse. Albers gab bekannt, dass auch an Tag fünf nach den Vorfällen bislang „keine Erkenntnisse über die Täter“ vorlägen. Polizisten vor Ort hätten nur beobachtet, dass es sich bei den Gruppen am Hauptbahnhof überwiegend um junge Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren gehandelt habe, die aus dem „nordafrikanisch-arabischen Raum“ stammen. Das decke sich mit Aussagen der Opfer.

Reker kündigte eine starke Präsenz von Beamten in Uniform und in Zivil an. Auch ist ein Einsatz von mobilen Videoanlagen geplant. Die Stadt will Örtlichkeiten besser ausleuchten und Sprachmittler einsetzen.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) und Polizeipräsident Wolfgang Albers bei ihrer Pressekonferenz
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) und Polizeipräsident Wolfgang Albers bei ihrer Pressekonferenz
Quelle: dpa

Die Oberbürgermeisterin kündigte zudem an, dass die Stadt im Internet auch Verhaltensregeln für Frauen und junge Mädchen veröffentlichen werde, damit sie besser geschützt seien. Diese sollten „feiern, aber besser vorbereitet als bisher in die Karnevalstage gehen“. Zu den Regeln gehöre, „eine Armlänge“ Abstand zu Fremden zu halten, sich in Gruppen zu bewegen und nicht voneinander trennen zu lassen.

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Und: Es werde auch „dazugehören, den Karneval und die Zuwendung, die im Karneval ja einmal erfolgt, auch den Menschen aus anderen Kulturkreisen vielleicht besser erklären“ zu müssen. Diese dürften körperliche Nähe nicht gleich als Einladung sexueller Natur verstehen.

Reker betonte, die Behörden hätten bislang keinerlei Hinweise, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handele. Solche Vermutungen seien „absolut unzulässig“.

Einen Fehler gesteht der Polizeipräsident ein

Albers präzisierte vorherige Angaben und erklärte, dass die Polizei in der Neujahrsnacht erst gegen ein Uhr nachts erste Hinweise auf sexuelle Übergriffe bekommen hätten. Daraufhin seien die Kräfte auf dem Bahnhofsvorplatz konzentriert worden. Der Einsatz habe damit begonnen, nachdem sich gut 1000 Männer auf dem Vorplatz und den Treppen zum Kölner Dom aufgehalten und Pyrotechnik gezündet beziehungsweise damit von oben auf Passanten geschossen hätten.

Im Laufe des 1. Januar sei sofort die Ermittlungskommission eingerichtet worden. 143 Polizeibeamte waren demnach in der Neujahrsnacht im Einsatz, zunächst im Stadtzentrum, dann fast nur noch am Bahnhof. Ihnen standen 70 Bundespolizisten zur Seite.

Es hat auf der Leitstelle in der Nacht drei konkrete Notrufe zu dem Sachverhalt gegeben
Wolfgang Albers, Polizeipräsident von Köln

Kritik am Einsatz der Polizei wies er zurück: Es seien ausreichend Kräfte auf dem Bahnhofsvorplatz gewesen. „Wir waren an dem Abend ordentlich aufgestellt.“ Der volle Umfang – insbesondere der sexuellen Übergriffe – sei erst am nächsten Tag klar geworden. „Es hat auf der Leitstelle in der Nacht drei konkrete Notrufe zu dem Sachverhalt gegeben.“ Der Leitende Polizeidirektor, Michael Temme, bestätigte: Die Beamten hätten erst ab ein Uhr, als der Platz vor dem Hauptbahnhof längst geräumt gewesen sei, erste Hinweise auf schwere Straftaten – also die sexuellen Übergriffe – erhalten.

Polizeipräsident Albers bedauerte gleichwohl, dass in einer ersten Pressemitteilung am Neujahrstag kein Hinweis auf sexuelle Übergriffe enthalten und von einer „entspannten“ Einsatzlage die Rede war. Diese Darstellung sorgt in den sozialen Netzwerken immer noch für große Empörung. „Diese erste Auskunft war falsch“, sagte Albers. Man habe Informationen „nicht sicher zusammengeführt“.

Albers warnte mit Hinblick auf die Ansammlung von etwa 1000 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz vor Pauschalisierungen: „Es gibt keine 1000 Täter.“ Es hätten sich Gruppen herausgebildet, die die Taten begangen hätten.

Eine neue Qualität der „Antänzer-Masche“

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Die Arbeit der „Ermittlungsgruppe Neujahr“ steht noch ganz am Anfang: Die Ermittler, die auch aus anderen Kriminalkommissariaten abgezogen wurden, wissen bisher kaum etwas Genaues. Denn es gibt nur wenige Zeugen. Die Polizei ruft deshalb dazu auf, dass sich weitere melden. Ein Ermittler sagte der „Welt“: „Die Aufklärung wird uns schwerfallen. In der Menge am Hauptbahnhof ist es sehr schwierig, anhand der vorhandenen Videoaufnahmen gerichtsfest herausfiltern, wer welche Straftaten begangen hat.“

In einem internen Schreiben wandte sich Polizeipräsident Albers laut Angaben aus dem Polizeipräsidium an seine Mitarbeiter: Darin spricht er von einer nie dagewesenen Begehungsweise der Straftaten. Die Täter, die sonst zu zweit oder dritt agieren würden, hätten sich „zusammengerottet“, um größtenteils Frauen zu berauben. „Mehr noch: Schamlos wurden die Opfer begrapscht und verhöhnt. Es kam gar zu einer Vergewaltigung. Diese Silvesternacht hat eine neue Qualität der Antänzer-Masche hervorgebracht, die wir so zuvor noch nicht kannten.“

So funktioniert der „Antanz-Trick“

Grabschende Männer, belästigte Frauen, zahlreiche Diebstähle: An Silvester wurde in Köln vermutlich auch der „Antanz-Trick“ angewendet. Die Polizei warnt mit Aufklärungsvideos vor der Trickdieb-Masche.

Quelle: Die Welt

Mit „Antänzer-Masche“ ist gemeint: Mehrere Personen tanzen um ein Opfer, sprechen und singen dabei. Plötzlich wird dann eine Tasche oder das Portemonnaie gestohlen. „Diese Tatverdächtigen sind für die Polizei meist alte Bekannte, die sich oft schon länger in Deutschland aufhalten und ein Bleiberecht haben“, sagte ein Ermittler.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nimmt die Taten von Silvester zum Anlass, erneut eine kommunale Sicherheitskonferenz mit der Stadtverwaltung, der Kölner Polizei, der Staatsanwaltschaft sowie dem Amts- und Landgericht zu fordern. Nötig seien mehr Polizeipräsenz auf Kölns Straßen sowie eine konsequente Fahndungs- und Ermittlungsarbeit. Die Justiz müsse ermittelte Straftäter zügig spürbar bestrafen; ausländische Kriminelle sollten schnell und konsequent abgeschoben werden.

Wiederholte Begehung von Straftaten in Verbindung mit häufig nicht erkennbarem Unrechtsbewusstsein und fehlendem Respekt vor der Polizei und Justiz
Rüdiger Thust, Vorsitzender der Kölner Kripogewerkschaft

Solche Forderungen hat der BDK angesichts steigender Kriminalitätszahlen in der Stadt allerdings schon mehrfach erhoben. Nachdem inzwischen nordafrikanische und arabische Täter fast täglich bei zahlreichen Delikten (Taschen- und Trickdiebstahl, Raub, Wohnungseinbruch oder dem Diebstahl aus Autos) mit steigender Tendenz auffallen würden, ist diese Forderung aus BDK Sicht aktueller denn je.

„Wiederholte Begehung von Straftaten in Verbindung mit häufig nicht erkennbarem Unrechtsbewusstsein und fehlendem Respekt vor der Polizei und Justiz machen deutlich, dass es an der Zeit ist, deutliche Signale zu setzen“, sagt Rüdiger Thust, der Vorsitzende der Kölner Kripogewerkschaft. Integrationswilligen und Bedürftigen müsse man die Hand reichen – Integrationsverweigerer und Wiederholungsstraftäter aber konsequent in die Schranken weisen.

"Dachte, einfach nur weg hier"

In der Silvesternacht sind rund um den Kölner Hauptbahnhof Dutzende Frauen massiv sexuell belästigt und ausgeraubt worden. Diese junge Frau schildert ihre Erinnerungen an diese Nacht.

Quelle: Die Welt

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