Noch nie ging es so vielen Deutschen so gut wie heute. Die Zahl der Erwerbstätigen erreicht rund 43 Millionen, die Zahl der sozialpflichtig Beschäftigten liegt bei fast 31 Millionen. Beides sind absolute Rekordwerte. Sie liegen über vier Millionen höher als vor zehn Jahren.
Ebenso eindrücklich ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit. Anfang 2005 wurde die Fünfmillionengrenze überschritten. 2015 blieben im Jahresdurchschnitt nur noch 2,8 Millionen Menschen ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote fiel auf 6,4 Prozent – gegenüber 11,7 Prozent eine Dekade zuvor. Noch nie hatten so viele Menschen Arbeit und blieben so wenige ohne Beschäftigung.
Weil die Löhne, nicht aber die Preise steigen, erhöht sich die Kaufkraft der Einkommen. Das erste Mal seit der Jahrhundertwende verbessert sich momentan die reale wirtschaftliche Situation für die Maße der deutschen Haushalte spürbar. Deshalb geht es heute den meisten Deutschen ökonomisch besser als jemals zuvor.
Optimismus und Gelassenheit
Jahrelang stand die (Un-)Sicherheit des Arbeitsplatzes ganz oben auf dem Sorgenbarometer der Deutschen. Heute gibt es für diese Ängste weniger Ursachen denn je. An diesem erfreulichen Trend wird das kommende Jahr nichts ändern. Die ökonomischen Aussichten für 2016 bieten viel Grund für Optimismus und gelassene Zuversicht.
Als würden die positiven wirtschaftlichen Fakten nicht zur Kenntnis genommen, zeigt sich Deutschland als „verstörte Nation“, wie der „Spiegel“ Mitte Dezember titelte. Vor allem seine bürgerliche Mitte lässt sich durch die Flüchtlingszuwanderung verunsichern. Sorgenvoll wird gezweifelt, ob angesichts einer Million Asylsuchender das Boot überquelle, und ob Deutschland es schaffen kann, die Flüchtlingswelle zu bewältigen. Wieso eigentlich?
Ökonomisch bieten die Flüchtlinge wenig Anlass zu Sorgen. Anstatt Menschen mit deutschen Produkten in deren Heimat zu beglücken, werden sie nun als Asylsuchende in Deutschland mit Gütern und Dienstleistungen versorgt. Was soll problematisch daran sein, wenn anstatt Waren zu den Konsumenten, die Konsumenten zu den Waren kommen? In beiden Fällen finden die Produzenten Abnehmer für ihre Angebote.
Wohnen, essen und kaufen Flüchtlinge hierzulande Güter und Dienstleistungen für den Alltagsbedarf, stimulieren sie genauso die deutsche Wirtschaft, wie sie das tun würden, wenn sie in ihrer Heimat deutsche Waren und Dienstleistungen konsumieren. Ihre Nachfrage wird nun aber nicht mehr als Export verbucht, sondern als Konsumausgabe im Inland. Beides wirkt sich gleichermaßen positiv auf die deutsche Konjunktur aus.
Eine Million zusätzlicher Kunden
Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass Flüchtlinge wohl kaum deutsche Güter und Dienstleistungen nachgefragt hätten, wenn sie in ihrer Heimat geblieben wären. Sie würden dann lokale Güter aus der Nachbarschaft kaufen und kaum Lebensmittel, Alltagsprodukte und Dienstleistungen oder Wohnraum aus Deutschland nachfragen. Anders formuliert: Deutschlands Wirtschaft erhält dank der Asylsuchenden schlagartig eine Million zusätzlicher Kunden, die sie ansonsten nicht gehabt hätte. Der private Konsum in Deutschland wird sich im nächsten Jahr überaus positiv entwickeln und real um fast zwei Prozent zulegen.
Das erfreuliche Wachstum der privaten Konsumausgaben ist für Deutschland von entscheidender Bedeutung. Jahrelang war der Exportweltmeister vom Erfolg seiner Ausfuhrwirtschaft abhängig. Schwächelte die Weltwirtschaft, wurde Deutschland krank. Das ändert sich gerade. Deutschland emanzipiert sich von seiner Exportabhängigkeit. Gottlob. Denn die Zukunftsaussichten für die Exportwirtschaft sind alles andere als rosig.
Bestenfalls kann davon gesprochen werden, dass die Globalisierung an Schwung verloren hat und gerade eine Pause einlegt. Schlimmstenfalls aber kann es sein, dass das Zeitalter offener Märkte und einer grenzenlosen Arbeitsteilung gerade zu Ende geht. Weltweit gewinnen Nationalisten, Protektionisten und Antiglobalisierungskräfte massiv Zulauf. Sie alle schotten nationale Märkte vor Konkurrenten aus dem Ausland ab. Als Ergebnis steigen die Transaktionskosten der internationalen Arbeitsteilung, während die Vorteile der Spezialisierung stetig geringer werden. Das wird die deutsche Exportwirtschaft in 2016 bremsen.
Binnenwirtschaft ist wichtiger denn je
Mehr denn je dürfte somit Deutschlands Konjunktur 2016 von positiven Impulsen der Binnenwirtschaft abhängig sein. Und genau diesen notwendig werdenden Rückenwind liefert der Zustrom von Flüchtlingen. Zwar sind die Asylsuchenden nicht in der Lage, ihre Nachfrage selber zu finanzieren. Vielmehr sind sie auf humanitäre Hilfe der Öffentlichkeit angewiesen.
Genau deshalb aber entsprechen die Konsumausgaben der Flüchtlinge einem staatlich finanzierten Konjunkturprogramm. Allerdings mit einem weiteren entscheidenden Unterschied. Die Flüchtlingswelle kann – anders als ein reines Konsumstimulierungsprogramm – nachhaltig wirken. Nämlich dann, wenn sie nicht nur als Konsum, sondern als Investition wirkt.
Das bedeutet, dass Flüchtlinge eben nicht nur als von öffentlichen Kassen subventionierte Käufer behandelt werden sollten, sondern so rasch wie irgendwie möglich als Arbeitskräfte, die in Zukunft mithelfen, das deutsche Bruttoinlandprodukt zu mehren.
Nachhaltige Konjunkturstimulierung
Damit wird offensichtlich, was 2016 für die deutsche Wirtschaft zum Schlüsselfaktor werden wird. Die Flüchtlinge sind hier, andere werden noch kommen. Sind sie nur Konsumenten, nicht aber Produzenten, sind sie eine enorme Belastung für Gesellschaft und öffentliche Kassen.
Werden sie aber zu Konsumenten und Arbeitskräften, können sie für eine nachhaltige Konjunkturstimulierung sorgen. Deshalb ist alles erfolgreich, was hilft, dass Flüchtlinge rasch arbeiten können und entsprechend ihren Fähigkeiten zu „deutschen“ Arbeitskräften werden.
Die Flüchtlingswelle trifft Deutschland nicht im falschen Moment. Sie kommt genau zur rechten Zeit. Anstatt weltweit Menschen in deren Heimat mit deutschen Exportprodukten zu beliefern, könnten Flüchtlinge in Deutschland direkt mit Gütern und Dienstleistungen aus hiesiger Wertschöpfung bedient werden, zu der sie als Arbeitskräfte auch beigetragen haben. So würden Flüchtlinge hierzulande für jene binnenwirtschaftlichen Impulse sorgen, die der deutschen Außenwirtschaft 2016 fehlen dürften, weil der Motor der Globalisierung ins Stottern geraten ist.